13. Schmerzhafte Läsionen der Hirnnerven und andere GesichtsschmerzenHartmut Gobel2019-06-17T17:36:45+00:00
Einleitung
Das vorliegende Kapitel legt ein Klassifizierungssystem für schmerzhafte Läsionen der Hirnnerven und andere Gesichtsschmerzen dar basierend auf einem Konsensus zwischen der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) und der International Association for the Study of Pain (IASP).
Die bestehende Nosologie von Schmerzen im Bereich der Hirnnerven wird den feinen Unterschieden zwischen unterschiedlichen Krankheitsbildern nicht ganz gerecht. Statt viele bewährte diagnostische Begriffe fallenzulassen, behält diese Klassifikation sie bei und bietet detaillierte Definitionen für die Differenzialdiagnose sowie zu ihren Typen und Subtypen.
Afferente Fasern in den Nn. trigeminus, intermedius, glossopharyngeus und vagus übermitteln, zusätzlich zu den oberen zervikalen Nervenwurzeln der Nn. occipitales, nozizeptive Signale in die zentralen Bahnen innerhalb des Hirnstamms sowie zu den Hirnregionen, die nozizeptive Signale und Schmerzen im Kopf und Nacken verarbeiten. Das Gehirn nimmt Schmerz im entsprechenden Versorgungsgebiet wahr.
Der Schmerz kann sich in jeder der vielen klar umrissenen Formen manifestieren, die nach gängiger Auffassung Unterschiede in der neuronalen Pathophysiologie spiegeln, obwohl die Einzelheiten hierzu nicht hinreichend bekannt sind. Bekannt ist jedoch, dass sich neuropathische Gesichtsschmerzen auf der Basis ihrer klar unterscheidbaren klinischen Erscheinungsbilder und Ätiologie klassifizieren lassen. Zentral für dieses Konzept ist die initiale klinische Bestimmung der wesentlichen diagnostischen Gruppe von Schmerzen, in die sich die Schmerzen des Patienten am besten einordnen lassen, gefolgt von ätiologischen Ermittlungen im Sinne der Diagnosetypen und Subtypen sowie der therapeutischen Entscheidungsfindung.
Es gibt mehrere verschiedene Klassifizierungsachsen.
a) Syndromologie: Neuralgie oder Neuropathie
Die Unterscheidung etwa zwischen einer Trigeminusneuralgie und einer Trigeminusneuropathie sollte als pragmatischer Weg betrachtet werden, zwischen Erkrankungen zu differenzieren, bei denen das klinische Erscheinungsbild und die Behandlungsansätze unterschiedlich sind, die beiden Erkrankungen jedoch auf der Basis der derzeit bekannten Pathologie oder Pathophysiologie nicht klassifiziert werden können. Das Gleiche gilt für Schmerzzustände in Verbindung mit dem N. glossopharyngeus und dem N. intermedius.
Eine wichtige Ursache von Schmerzen im Bereich der Hirnnerven ist ein Herpes zoster. Trotz der Tatsache, dass trigeminale Schmerzen nach Herpes zoster wahrscheinlich zu verschiedenen Typen von pathologischen Veränderungen in den Trigeminalbahnen führen (d.h., einem „leicht erregbaren Nozizeptor“ gegenüber einem „Deafferentierungs“-Typ), sind die verfügbaren Daten zu begrenzt, um diese als eine Neuralgie in Abgrenzung von einer Neuropathie zu klassifizieren. Deshalb wird der gut eingeführte Begriff postherpetische Neuralgie beibehalten.
b) Lokalisation: zentraler oder peripherer neuropathischer Schmerz
Eine Läsion oder übermäßige Aktivierung dieser Nerven (peripherer neuropathischer Schmerz) oder ihrer zentralen Bahnen (zentraler neuropathischer Schmerz) verursacht neuropathische Schmerzen im Gesicht.
c) Ätiologie: klassisch, idiopathisch oder sekundär
Die Ursache eines neuropathischen Schmerzes kann klar sein, etwa eine Infektion mit einem Varicella-zoster-Virus oder eine strukturelle Anormalie (d.h. Plaques bei Multipler Sklerose), nachgewiesen durch die Bildgebung: ein derartiger Schmerz wird als sekundär bezeichnet und angegeben, auf welche Ursache er zurückzuführen ist. In anderen Fällen ist keine offensichtliche Ursache erkennbar (als idiopathischer Schmerz bezeichnet).
Für die Trigeminus-, Glossopharyngeus- und Intermedius-Neuralgie ist die Bezeichnung klassisch Fällen vorbehalten, in denen die Bildgebung oder ein operativer Eingriff eine vaskuläre Kompression des entsprechenden Nervs gezeigt haben. Streng genommen sind klassische Neuralgien sekundär (Folge der neurovaskulären Kompression), aufgrund der umfassenderen therapeutischen Möglichkeiten und potenzieller nervenpathophysiologischer Unterschiede ist es jedoch von Vorteil, sie von anderen Ursachen zu trennen.