5. Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Verletzung oder ein Trauma des Kopfes und/oder der HWSHartmut Gobel2019-06-17T17:36:42+00:00
An anderer Stelle kodiert
Primärer und/oder sekundärer Kopfschmerz?
Für Kapitel 5. Kopfschmerz zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS gelten die allgemeinen Regeln für die kausale Zuordnung zu einer anderen Erkrankung.
- Tritt ein neuer Kopfschmerz erstmals in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Trauma oder einer Verletzung des Kopfes und/oder der HWS auf, sollte der Kopfschmerz als Kopfschmerz zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung kodiert werden. Dies ist auch der Fall, wenn der Kopfschmerz das klinische Bild eines primären Kopfschmerzes zeigt, der in Teil 1 der ICHD-3 klassifiziert wird.
- Wenn aber ein vorbestehender Kopfschmerz mit den Charakteristika eines primären Kopfschmerzes in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem solchen Trauma oder einer solchen Verletzung chronisch wird oder sich deutlich verschlechtert (üblicherweise definiert als eine mindestens zweifache Steigerung der Häufigkeit und/oder Schwere), dann sollte sowohl die vorbestehende primäre Kopfschmerzdiagnose als auch die Diagnose 5. Kopfschmerz zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS (oder eines seiner Typen oder Subtypen) vergeben werden, sofern gute Hinweise dafür bestehen, dass die Erkrankung Kopfschmerzen verursachen kann.
Einleitung
Die Typen des 5. Kopfschmerzes zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS gehören zu den häufigsten sekundären Kopfschmerzerkrankungen. Während der ersten 3 Monate ab Kopfschmerzbeginn gelten sie als akut; bestehen sie über diesen Zeitraum hinaus fort, werden sie als anhaltend bezeichnet. Dieser Zeitraum deckt sich mit den diagnostischen Kriterien der ICHD-2, obwohl der Begriff anhaltend an die Stelle von chronisch getreten ist.
Es gibt keine spezifischen Kopfschmerzmerkmale, durch die sich die Typen des 5. Kopfschmerzes zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS von anderen Kopfschmerzerkrankungen unterscheiden; meist ähneln diese einem 2. Kopfschmerz vom Spannungstyp oder einer 1. Migräne. Demzufolge stützt sich ihre Diagnose größtenteils auf den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Kopftrauma oder der Kopfverletzung und dem Kopfschmerzbeginn. Übereinstimmend mit den diagnostischen Kriterien der ICHD-2 erfordern die diagnostischen Kriterien der ICHD-3 für alle Typen des 5. Kopfschmerzes zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS, dass die berichteten Kopfschmerzen innerhalb von 7 Tagen nach dem Trauma oder der Verletzung aufgetreten sind bzw. innerhalb von 7 Tagen nach Wiedererlangung des Bewusstseins und/oder 7 Tagen nach der Wiedererlangung der Fähigkeit, Schmerz zu spüren und über ihn zu berichten. Auch wenn dieses 7-Tage-Intervall ein Stück weit willkürlich ist und einige Experten argumentieren, Kopfschmerzen könnten bei einem kleinen Teil der Patienten auch noch nach einem längeren Zeitintervall auftreten, liegen derzeit noch nicht genug stichhaltige Gründe dafür vor, diese Voraussetzung zu ändern. Hier soll zu Untersuchungen angeregt werden, bei denen die diagnostischen Kriterien für einen A5.1.1.1 verzögert auftretenden akuten Kopfschmerz zurückzuführen auf eine mittelschwere oder schwere traumatische Verletzung des Kopfes und eines A5.1.2.1 verzögert auftretenden akuten Kopfschmerzes zurückzuführen auf eine leichte traumatische Verletzung des Kopfes auf den Prüfstand gestellt werden (siehe Anhang).
Kopfschmerz kann als isoliertes Symptom nach einem Trauma oder einer Verletzung des Kopfes auftreten oder auch als eine Konstellation von Symptomen, die in der Regel Schwindel, Müdigkeit, ein vermindertes Konzentrationsvermögen, eine psychomotorische Verlangsamung, leichte Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen, Angst, Persönlichkeitsveränderungen und Gereiztheit umfassen. Wenn auf eine Kopfverletzung mehrere dieser Symptome folgen, kann davon ausgegangen werden, dass der Patient ein postkommotionelles Syndrom (Zustand nach Gehirnerschütterung) aufweist.
Die Pathogenese eines 5. Kopfschmerzes zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS ist oft unklar. Zu den zahlreichen Faktoren, die zur Kopfschmerzentstehung beitragen können, gehören unter anderem eine axonale Schädigung, Veränderungen des Hirnstoffwechsels, eine Neuroinflammation, Veränderungen der zerebralen Hämodynamik, eine zugrundeliegende genetische Veranlagung, psychopathologische Faktoren und die Erwartung des Patienten, von der Kopfverletzung Kopfschmerzen davonzutragen. Neuere Untersuchungen mit Hilfe fortschrittlicher zerebraler Bildgebungsverfahren lassen auf ein Potenzial für die Aufdeckung struktureller, funktioneller und metabolischer Anomalien im Gehirn nach geringfügigen Traumata schließen, die mit konventionellen Diagnosetests nicht zu eruieren sind. Es ist plausibel, anzunehmen, dass posttraumatische Schlafstörungen, Stimmungsstörungen sowie psychosoziale und sonstige Stressoren die Entstehung und das Fortbestehen von Kopfschmerzen beeinflussen können. Der Übergebrauch nicht anschlagender Kopfschmerzmedikationen kann zum Persistieren von Kopfschmerzen nach einer Kopfverletzung durch Auftreten eines 8.2 Kopfschmerzes zurückzuführen auf Medikamentenübergebrauch führen. Kliniker müssen diese Möglichkeit immer dann berücksichtigen, wenn posttraumatische Kopfschmerzen über die erste posttraumatische Phase hinaus anhalten.
Zu den Risikofaktoren, die das Auftreten eines 5. Kopfschmerzes zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS begünstigen, können eine Kopfschmerzvorgeschichte, eine weniger schwere Verletzung, die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht und das Vorliegen komorbider psychiatrischer Störungen gehören. Der Zusammenhang zwischen wiederholten Kopftraumata und dem Auftreten von Kopfschmerzen sollte noch näher untersucht werden. In welchem Umfang die Erwartung des Patienten, dass nach der Kopfverletzung Kopfschmerzen eintreten werden und Rechtsstreitigkeiten rund um Entschädigungsansprüche in Verbindung mit Kopfschmerzen dieser Art ihr Auftreten und Persistieren begünstigen, wird noch diskutiert. Mehrheitlich verweisen die Belege darauf, dass Simulieren nur bei einer kleinen Minderheit der Patienten eine Rolle spielt.
Es ist anerkannt, dass bei einigen Patienten nach sehr geringfügigen Kopftraumata Kopfschmerzen auftreten – Traumata so geringfügiger Art, dass sie nicht einmal die Kriterien für eine leichte traumatische Hirnverletzung erfüllen. Diese Kopfschmerzen können nach einem einmaligen Trauma beginnen oder nach wiederholten kleineren Aufprallereignissen gegen den Kopf (z. B. bei American-Football- oder Rugbyspielern). Kopfschmerzen infolge sehr kleiner Kopftraumata wurden jedoch noch nicht hinreichend untersucht, daher reicht die Datenlage nicht aus, um diese anzuerkennen und in die ICHD-3 aufzunehmen. Hier sind Untersuchungen zu Kopfschmerz nach sehr geringfügigen Kopftraumata gefordert, vielleicht anhand der diagnostischen Kriterien für einen A5.8 akuten Kopfschmerz zurückzuführen auf ein anderes Kopf- und/oder HWS-Trauma oder eine andere Kopf- und/oder HWS-Verletzung und einen A5.9 anhaltenden Kopfschmerz zurückzuführen auf ein anderes Kopf- und/oder HWS-Trauma oder eine andere Kopf- und/oder HWS-Verletzung.
Von einem 5. Kopfschmerz zurückzuführen auf ein Trauma oder eine Verletzung des Kopfes und/oder der HWS wird auch bei Kindern berichtet, wenngleich weniger häufig als bei Erwachsenen. Die Charakteristika der Typen sind bei Kindern und Erwachsenen ähnlich, und die diagnostischen Kriterien bei Kindern sind dieselben.