8.2 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen MedikamentenübergebrauchHartmut Gobel2019-04-22T13:31:15+00:00
Früher verwendete Begriffe:
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz; Kopfschmerz bei Medikamentenmissbrauch; „Rebound“-Kopfschmerz.
An anderer Stelle kodiert:
Patienten mit einer vorbestehenden primären Kopfschmerzerkrankung, die während eines Medikamentenübergebrauchs einen neuen Kopfschmerztyp entwickeln oder eine deutliche Verschlechterung ihres vorbestehenden Kopfschmerzes erfahren und die die Kriterien für einen 8.2 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch (oder eines Subtyps) erfüllen, sollen sowohl diese Diagnose als auch die Diagnose ihrer vorbestehenden Kopfschmerzen erhalten. Patienten, die die Kriterien sowohl für eine 1.3 chronische Migräne als auch für einen 8.2 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch erfüllen, sollen beide Diagnosen erhalten.
Beschreibung:
Kopfschmerz an 15 oder mehr Tagen/Monat bei einem Patienten mit einer vorbestehenden primären Kopfschmerzerkrankung, der sich als Folge eines regelmäßigen Übergebrauchs von Kopfschmerz-Akutmedikation für mehr als 3 Monate entwickelt. Als Übergebrauch wird, je nach Medikament, die Einnahme an mindestens 10 oder 15 Tagen/Monat bezeichnet. Dieser Kopfschmerz verschwindet meist, aber nicht immer, nach Beendigung des Übergebrauchs.
Diagnostische Kriterien:
- Kopfschmerz an ≥15 Tagen/Monat bei einem Patienten mit einer vorbestehenden Kopfschmerzerkrankung
- Regelmäßiger Übergebrauch für >3 Monate eines oder mehrerer Medikamente, die zur Akuttherapie oder symptomatischen Behandlung von Kopfschmerzen eingesetzt werden können1;2;3
- Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose.
Anmerkungen:
- Patienten sollten die Diagnose von einem oder mehreren Subtypen von 8.2 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch entsprechend der eingenommenen Medikation und der unten beschriebenen Kriterien erhalten. Zum Beispiel sollte ein Patient, der die Kriterien für 8.2.2 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Triptanübergebrauch und die Kriterien eines Subtyps von 8.2.3 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Übergebrauch von Nicht-Opioid-Analgetika erfüllt, beide Diagnosen erhalten. Dagegen werden Patienten, die Kombinationsanalgetika übergebrauchen, unter 8.2.5 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Übergebrauch von Schmerzmittelmischpräparaten kodiert, und nicht entsprechend der in den Kombinationsanalgetika enthaltenen Einzelsubstanzen.
- Patienten, die verschiedene Medikamente zur Akuttherapie oder symptomatischen Kopfschmerzbehandlung einnehmen, können insgesamt einen Übergebrauch aufweisen, obwohl keine der Einzelsubstanzen übergebraucht wird. Diese Patienten sollten unter 8.2.6 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Übergebrauch von Medikamenten aus mehreren Klassen, ohne Übergebrauch der Einzelsubstanzen kodiert werden.
- Patienten, die eindeutig einen Übergebrauch mehrerer Medikamente zur Akuttherapie oder symptomatischen Behandlung von Kopfschmerzen betreiben, aber keine hinreichenden Angaben zu den verwendeten Medikamenten und/oder der Einnahmehäufigkeit machen können, werden unter 8.2.7 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen unspezifiziertem oder unbestätigtem Übergebrauch von Medikamenten aus mehreren Klassen kodiert, bis genauere Information ermittelt worden sind. Diese Situation erfordert fast immer das Führen eines Kopfschmerz- und Medikamentenkalenders.
Kommentare:
8.2 Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch ist das Ergebnis einer Interaktion zwischen exzessiv gebrauchten Medikamenten und empfänglichen Patienten. Patienten mit einer primären Kopfschmerzerkrankung haben meist 1. Migräne oder 2. Kopfschmerz vom Spannungstyp (oder beides); nur eine kleine Minderheit hat andere primäre Kopfschmerzerkrankungen wie 3.3 Clusterkopfschmerz oder 4.10 neu aufgetretener täglicher anhaltender Kopfschmerz.
Der Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch hat sehr große klinische Bedeutung. Epidemiologische Daten aus vielen Ländern zeigen, dass mehr als die Hälfte der Menschen mit Kopfschmerzen an 15 oder mehr Tagen/Monat einen 8.2. Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch haben. Es ist erwiesen, dass es nach Absetzen der übergebrauchten Medikation bei den meisten Patienten zu einer Besserung der Kopfschmerzen und einem verbesserten Ansprechen auf vorbeugende Medikation kommt. Eine einfache Beratung über die Ursachen und Folgen eines 8.2. Kopfschmerzes zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch ist ein entscheidender Baustein seiner Behandlung und kann erfolgreich im Rahmen der hausärztlichen Versorgung eingesetzt werden. Die Mitgabe von Informationsmaterial ist oft ausreichend, um einen Medikamentenübergebrauch zu verhindern oder zu beenden. Die Vorbeugung ist besonders bei Patienten mit häufigen Kopfschmerzen wichtig.
Manche Patienten mit 8.2. Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch zeigen ein Verhalten wie bei anderen Suchterkrankungen, und hohe Werte auf der Severity of Dependence Scale (SDS) können bei Kopfschmerzpatienten einen Medikamentenübergebrauch vorhersagen.
Die Anzahl der Tage mit Medikamenteneinnahme, die in den untenstehenden Kriterien für die verschiedenen Subtypen als Übergebrauch bezeichnet wird, ist nicht evidenzbasiert, sondern beruht auf Expertenmeinung.
Es ist bekannt, dass populationsbasierte Querschnittsstudien zur Schätzung der Prävalenz von 8.2. Kopfschmerz zurückzuführen auf einen Medikamentenübergebrauch zwar das gleichzeitige Bestehen von Kopfschmerzen an ≥15 Tagen pro Monat und von Medikamentenübergebrauch erfassen können. Jedoch sind selten Informationen über frühere Kopfschmerzen zu erhalten, über die Dauer des aktuellen Kopfschmerzes oder des Medikamentenübergebrauchs und/oder Informationen, die die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs stützen. Daher kommt es vor, dass die Kriterien A und B, oder eines der beiden, nicht komplett erfüllt sind. Sofern nicht die Kriterien für eine andere ICHD-3-Diagnose erfüllt sind, sollten solche Fälle als wahrscheinlicher Kopfschmerz zurückzuführen auf Medikamentenübergebrauch berichtet werden, obwohl die ICHD-3 keine Diagnose dafür vorsieht.