9.1.1 Kopfschmerz zurückzuführen auf eine bakterielle Meningitis oder MeningoenzephalitisHartmut Gobel2019-04-22T09:38:36+00:00
Beschreibung:
Kopfschmerz von variabler Dauer infolge einer bakteriellen Meningitis oder Meningoenzephalitis. Dieser kann sich in Zusammenhang mit leichten grippeähnlichen Symptomen entwickelt. Er ist in der Regel akut und geht mit Nackensteifigkeit, Übelkeit, Fieber und Veränderungen der psychischen Verfassung und/oder anderen neurologischen Symptomen und/oder Zeichen einher. In den meisten Fällen verschwindet er, sobald die Infektion erfolgreich bekämpft wurde, in seltenen Fällen hält er an.
Diagnostische Kriterien:
- Kopfschmerz beliebiger Dauer, der Kriterium C erfüllt
- Es wurde eine bakterielle Meningitis oder Meningoenzephalitis diagnostiziert
- Ein kausaler Zusammenhang kann durch mindestens zwei der folgenden Kriterien gezeigt werden:
- Der Kopfschmerz hat sich in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn der bakteriellen Meningitis oder Meningoenzephalitis entwickelt
- Der Kopfschmerz hat sich gleichzeitig mit der Verschlechterung der bakteriellen Meningitis oder Meningoenzephalitis deutlich verschlechtert
- Der Kopfschmerz hat sich gleichzeitig mit der Besserung der bakteriellen Meningitis oder Meningoenzephalitis deutlich gebessert
- Der Kopfschmerz erfüllt einen oder beide der folgenden Punkte:
- holokraniell
- in der Nuchalregion lokalisiert und von Nackensteifigkeit begleitet
- Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose.
Kommentar:
Kopfschmerzen sind das häufigste und meist auch das erste Symptom dieser Infektionen. Ein 9.1.1 Kopfschmerz zurückzuführen auf eine bakterielle Meningitis oder Meningoenzephalitis sollte immer dann in Erwägung gezogen werden, wenn Kopfschmerzen in Begleitung von Fieber, Veränderungen der psychischen Verfassung (einschließlich einer herabgesetzten Aufmerksamkeit), fokalen neurologischen Defiziten oder generalisierten epileptischen Anfällen. Im Falle einer Enzephalitis umfassen die hiermit verbundenen Defizite in Form von Sprach- oder Hörstörungen, Doppeltsehen, Gefühlsverlust in einigen Teilen des Körpers, Muskelschwäche, partielle Lähmungen in den Armen und Beinen, Halluzinationen, Persönlichkeitsveränderungen, eingeschränkter Urteilsfähigkeit, Bewusstlosigkeit, plötzliche schwerer Demenz und/oder Gedächtnisverlust.
Dennoch ist es bei intrakraniellen bakteriellen Infektionen meist außerordentlich schwierig, zwischen einer bloßen meningealen Beteiligung und einer bloßen enzephalitischen Beteiligung zu unterscheiden. Abgesehen davon mündet diese Unterscheidung nicht in unterschiedliche Herangehensweisen an die Beurteilung oder die Wahl des Behandlungsansatzes. Aus diesem Grund wird der Kopfschmerz zurückzuführen auf eine bakterielle Meningitis und der Kopfschmerz zurückzuführen auf eine bakterielle Enzephalitis als eine einzige Entität, 9.1.1 Kopfschmerz zurückzuführen auf eine bakterielle Meningitis oder Meningoenzephalitis, zusammengefasst.
Es gibt eine ganze Bandbreite von Bakterien, die eine Meningitis und/oder Enzephalitis verursachen können, darunter Streptococcus pneumoniae, Neisseria meningitidis und Listeria monocytogenes. Der immunologische Hintergrund ist sehr wichtig, da eine Immunsuppression (aufgrund von HIV bzw. nach einer Transplantation oder infolge anderer chronisch immundepressiven Therapien) Auswirkungen auf die Anfälligkeit sowie das klinische und biologische Profil hat.
Der initiale Kopfschmerz wird durch eine direkte Stimulation von sensiblen Nervenendigungen in den Meningen durch die bakterielle Infektion ausgelöst. Bakterienprodukte (Toxine) sowie Entzündungsmediatoren wie Bradykinin, Prostaglandine, Zytokine und andere durch den entzündlichen Prozess freigesetzte Substanzen verursachen nicht nur direkt Schmerzen, sondern führen zu einer Schmerzsensibilisierung und einer Freisetzung von Neuropeptiden. Bei bestehender Enzephalitis kann auch eine intrakranielle Hypertension als Kopfschmerzursache eine Rolle spielen.
In den meisten Fällen verschwindet der Kopfschmerz mit Verschwinden der Infektion. Dennoch kann die Infektion noch für Monate aktiv bleiben und so zu chronischen Kopfschmerz führen. In einer Minderheit der Fälle bleibt der Kopfschmerz noch mehr als 3 Monate nach Verschwinden der ursächlichen Infektion bestehen. Aus diesem Grund werden unten drei eigenständige Subtypen eines 9.1.1 Kopfschmerzes zurückzuführen auf eine bakterielle Meningitis oder Meningoenzephalitis beschrieben, denn ihre Pathophysiologie und Behandlung unterscheiden sich je nachdem, ob die Infektion vollständig ausgemerzt werden konnte oder noch aktiv ist.