7.7 Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Chiari-Malformation Typ I (CM1)Hartmut Gobel2019-04-22T15:42:32+00:00
Beschreibung:
Kopfschmerz, der durch eine Chiari-Malformation Typ 1 verursacht wird, meist okzipital oder subokzipital, von kurzer Dauer (weniger als 5 Minuten) und durch Husten oder andere Valsalva-ähnliche Manöver hervorgerufen wird. Er verschwindet nach erfolgreicher Behandlung der Chiari-Malformation.
Diagnostische Kriterien:
- Kopfschmerz, der Kriterium C erfüllt
- Es wurde eine Chiari-Malformation Typ 1 (CM1) nachgewiesen1
- Ein kausaler Zusammenhang kann durch mindestens zwei der folgenden Kriterien gezeigt werden:
- Einer oder beide der folgenden Punkte sind erfüllt:
- der Kopfschmerz hat sich in einem zeitlichen Zusammenhang mit der CM1 entwickelt oder führte zu deren Entdeckung
- der Kopfschmerz ist innerhalb von 3 Monaten nach erfolgreicher Behandlung der CM1 verschwunden
- Der Kopfschmerz weist eines oder mehrere der folgenden drei Merkmale auf:
- eingeleitet durch Husten oder eine andere Valsalva-ähnliche Manöver
- okzipital oder subokzipital lokalisiert
- Dauer <5 Minuten
- Der Kopfschmerz ist von anderen Symptomen und/oder klinischen Zeichen einer Störung des Hirnstamms, Kleinhirns, der unteren Hirnnerven und/oder des Halsmarks begleitet2
- Einer oder beide der folgenden Punkte sind erfüllt:
- Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose3.
Anmerkung:
- Die Diagnose einer Chiari-Malformation Typ 1 (CM1) mittels MRT erfordert den Nachweis einer Kaudalverlagerung der Kleinhirntonsillen um mindestens 5 mm oder einer Kaudalverlagerung der Kleinhirntonsillen um mindestens 3 mm plus einer Enge des Subarachnoidalraumes im kraniozervikalen Übergang, nachgewiesen durch eine Kompression der Liquorräume hinter und neben dem Kleinhirn oder eine verringerte Höhe des Supraokziputs, eine Steilstellung des Tentoriums oder ein Kinking der Medulla oblongata.
- Beinahe alle Patienten mit CM1 (95%) berichten von einer Konstellation von fünf oder mehr klar umrissenen Symptomen.
- Bei Patienten mit verändertem Liquordruck, sei es im Sinne eines Überdrucks wie bei einer idiopathischen intrakraniellen Druckerhöhung (IIH), oder eines Unterdrucks wie bei der spontanen intrakraniellen Hypotonie als Folge eines Liquorverlusts, kann im MRT eine sekundäre Verlagerung der Kleinhirntonsillen und CM1 nachgewiesen werden. Diese Patienten können auch Kopfschmerzen in Verbindung mit Husten oder anderen Valsalva-ähnlichen Manöver aufweisen und werden korrekterweise entweder unter 7.1.1 Kopfschmerz zurückzuführen auf eine idiopathische intrakranielle Hypertension oder unter 7.2.3 Kopfschmerz zurückzuführen auf ein spontanes Liquorunterdrucksyndrom kodiert. Vor diesem Hintergrund muss bei allen Patienten mit Kopfschmerz und CM1 ein auffälliger Liquordruck ausgeschlossen werden.
Kommentar:
7.7 Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Chiari-Malformation Typ I (CM1) ähnelt von der Beschreibung her oft Punkt 4.1 primärer Hustenkopfschmerz, bis auf die längere Dauer in manchen Fällen (Minuten statt Sekunden).
Prävalenzstudien zufolge findet sich bei 0,24% bis 3,6% der Population eine tonsilläre Herniation von mindestens 5 mm, wobei die Prävalenz mit steigendem Alter zunimmt.
Der klinische Kontext der CMI ist wichtig, da viele dieser Patienten asymptomatisch sein können. Es liegen widersprüchliche Daten zum Ausmaß der Herniation und zur Schwere des begleitenden Kopfschmerzes und dem Grad der Beeinträchtigung vor: Patienten können bei minimaler tonsillärer Herniation „Chiari-artige“ Symptome aufweisen, während andere bei großen Herniationen durchaus asymptomatisch sein können.
Diese Kriterien für einen 7.7 Kopfschmerz zurückzuführen auf eine Chiari-Malformation Typ I (CM1) harren der Validierung: hier werden prospektive Studien zu langfristigen klinischen Resultaten mit und ohne Operation benötigt. Bis dahin wird beim Abwägen, ob ein chirurgischer Eingriff erfolgen soll, die strenge Einhaltung der klinischen wie auch der radiologischen Kriterien empfohlen, um unnötige Eingriffe mit beträchtlicher potenzieller Operationsmorbidität zu vermeiden. Die derzeitige Datenlage lässt darauf schließen, dass bei sorgfältig ausgewählten Patienten Hustenkopfschmerzen eher als Kopfschmerzen ohne Valsalva-ähnliche Auslöser und okzipitale Kopfschmerzen eher als nicht-okzipitale Kopfschmerzen auf eine chirurgische Intervention ansprechen.
Neuere vorliegende Daten weisen auf einen Zusammenhang zwischen Adipositas und der Kopfschmerzwahrscheinlichkeit bei CM1 hin; dieses Ergebnis bedarf weiterer Untersuchungen, vor allem aus der Behandlungsperspektive.