4.3 Primärer Kopfschmerz bei sexueller AktivitätHartmut Gobel2019-09-26T13:35:47+00:00
Früher verwendete Begriffe
Benigner Orgasmuskopfschmerz, Koituscephalgie, sexueller Kopfschmerz
An anderer Stelle kodiert:
Ein postkoital auftretender orthostatischer Kopfschmerz sollte unter 7.2.3 Kopfschmerz zurückzuführen auf ein spontanes Liquorunterdrucksyndrom kodiert werden, da er wahrscheinlich auf ein Liquorleck zurückzuführen ist.
Beschreibung:
Kopfschmerz, der durch sexuelle Aktivität hervorgerufen wird. In der Regel beginnt der Kopfschmerz bei zunehmender sexueller Erregung als dumpfer, bilateraler Schmerz und intensiviert sich schlagartig während des Orgasmus. Intrakranielle Erkrankungen bestehen nicht.
Diagnostische Kriterien:
- Mindestens 2 Schmerzepisoden im Kopf und/oder Hals, die die Kriterien B bis D erfüllen
- Der Schmerz wird ausgelöst durch sexuelle Aktivität und tritt ausschließlich während einer solchen auf
- Einer oder beide der folgenden Punkte sind erfüllt:
- zunehmende Intensität mit zunehmender sexueller Erregung
- schlagartige explosive Intensivierung unmittelbar vor dem oder beim Orgasmus
- Schmerzdauer zwischen 1 Minute und 24 Stunden bei starker Intensität und/oder bis zu 72 Stunden bei leichterer Intensität
- Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose1;2.
Anmerkung:
- 4.3 Primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität tritt nicht in Verbindung mit einer Bewusstseinstrübung, Erbrechen oder Sensibilitätsstörungen bzw. visuellen oder motorischen Symptomen auf, während dies bei sexuellem Kopfschmerz symptomatischer Natur durchaus der Fall sein kann. Beim erstmaligen Auftreten eines Kopfschmerzes bei sexueller Aktivität ist der Ausschluss einer Subarachnoidalblutung, einer intra- und extrakraniellen arteriellen Dissektion und eines reversiblen zerebralen Vasokonstriktionssyndroms (RCVS) obligatorisch.
- Multiple explosive Kopfschmerzen bei sexuellen Aktivitäten sollten als 6.7.3 Kopfschmerz zurückzuführen auf ein reversibles zerebrales Vasokonstriktionsyndrom betrachtet werden, solange angiographische Untersuchungen (einschließlich konventioneller, Magnetresonanz- oder CT-Angiographie) oder die transkranielle Dopplerultrasonographie nichts Gegenteiliges bewiesen haben. Man beachte, dass Vasokonstriktionen im Frühstadium eines RCVS nicht unbedingt festzustellen sind; aus diesem Grund können Folgeuntersuchungen erforderlich sein.
Kommentar:
In die ICHD-1 und ICHD-2 waren zwei Subtypen (Präorgasmuskopfschmerz und Orgasmuskopfschmerz) aufgenommen worden, doch ist es in seitdem durchgeführten klinischen Studien nicht gelungen, diese voneinander abzugrenzen. Aus diesem Grund wird 4.3 Primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität nun als eine einzige Entität mit unterschiedlichen klinischen Erscheinungsbildern angesehen.
Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei bis zu 40% aller Fälle ein chronischer Verlauf über mehr als ein Jahr vorliegt.
Einige Patienten erleben nur einmal in ihrem Leben einen Anfall von 4.3 Primären Kopfschmerz bei sexueller Aktivität; bei ihnen sollte die Diagnose 4.3.1 wahrscheinlicher primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität gestellt werden. Zur weiteren Erforschung dieses Kopfschmerztyps empfiehlt es sich, nur Patienten mit mindestens zwei Attacken in die Studie aufzunehmen.
Die epidemiologische Forschung hat ferner gezeigt, dass ein 4.3 primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität nur im sexuell aktiven Alter auftreten kann, sich bei Männern häufiger zeigt als bei Frauen (das Verhältnis rangiert zwischen 1,2:1 und 3:1), unabhängig von der Art von sexueller Aktivität ist, in den meisten Fällen nicht in Begleitung autonomer oder vegetativer Symptome auftritt, in zwei Dritteln der Fälle beidseits und in einem Drittel der Fälle einseitig und in 80% der Fälle diffus oder okzipital lokalisiert ist. Die Häufigkeit der Attacken in Verbindung mit 4.3 primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität sollte immer mit der Häufigkeit der sexuellen Aktivität korrelieren.